20 August 2011

Lesen macht klug und schoen 432 - Stefanie Sourlier - Das weiße Meer

Bei Stefanie Sourlier löst Gegenwart Erinnerung aus, und Erinnerung schafft Gegenwart.
 
Stefanie Sourlier - Das weiße Meer


Erzählungen
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2011
ISBN-13 9783627001735
19,90 EUR 


Zwei Geschwister haben sich eine zauberhafte eigene Welt geschaffen. Tage- und nächtelang spielen sie am Mondsee, aus dem sie geboren zu sein glauben, sprechen „Rosam“, ihre eigene Sprache. Als die Geburt eines Geschwisterchens ihre Zweisamkeit zu zerstören droht, fassen sie einen ungeheuren Plan. Drei Jugendliche verbringen einen heißen Sommer in einem südfranzösischen Fischerdorf. Doch nichts ist mehr, wie es noch vor wenigen Jahren war: Frühere Lieben sind verschwunden, die Kinderspiele langweilig geworden. Als die Hitze immer unerträglicher wird, bricht die scheinbare Idylle zusammen. Eine junge Frau wandert nach Manchester aus, seltsam getrieben von einer Frau, die sie nicht vergessen kann. Die Sehnsucht nach ihr führt sie – fast – bis an das Weiße Meer. Gemeinsam mit dem Bruder ihres „lustigen Freundes“ versucht eine Frau die Wahrheit über dessen Suizid zu ergründen. Doch die Erinnerungen verschwimmen, der Freund wird zum unscharfen Schattenbild, während der Bruder ihr plötzlich befremdlich nah ist. Stefanie Sourliers Erzählungen sind von einer einzigartigen flirrenden Schönheit. Ihre Abgründe geben sie nur allmählich preis. Geheimnisvoll und doch klar, fragil und feingewoben, erzeugen sie eine Sogkraft, die den Leser bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. In zarten, enigmatischen Bildern erzählt Stefanie Sourlier vom Leben ihrer Figuren, ein Leben, das unter Wasser zu spielen scheint, still, geheimnisvoll und voller verborgener Beziehungen, die aus der Tiefe das Handeln der Menschen bestimmen.







Stefanie Sourlier, geboren 1979 in Basel, lebt in Zürich. 2006 nahm sie an der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin teil, erhielt das Arbeitsstipendium des Berliner Senats 2007 und einen Werkbeitrag des Kantons Zürich 2008. Das weiße Meer ist ihre erste Buchveröffentlichung.


Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 25.06.2011

Mit gemischten Gefühlen bespricht Alexandra von Arx Stefanie Sourliers Erzähldebüt "Das weiße Meer". Dabei lobt die Rezensentin die vor allem bei Erstlingswerken durchaus seltene Qualität: Die neun Erzählungen seien durch wiederkehrende Themenkreise und Figuren intelligent aufeinander bezogen, die Kritikerin sieht die neue deutschsprachige Erzählschule einer Judith Hermann hier gekonnt angewendet. Darüber hinaus setze sie filmische Gestaltungsmittel wie hautnahes Heranzoomen oder harte Schnitte sehr gelungen um. Melancholisch, aber nie sentimental schildere Sourlier die beinahe alltäglich wirkenden Todeserlebnisse ihrer Ich-Erzählerin, etwa ihren ersten Selbstmordversuch durch Kupfersulfat. Dennoch muss die Rezensentin nach der Lektüre leider feststellen: Mehr als ein Eindruck von "leichter Schwermut und lähmender Ernsthaftigkeit" bleibt nicht zurück. Zu bekannt und "harmlos" erscheint ihr das Gelesene, auch sprachlich findet sie die Erzählungen leider weder besonders spannend noch "eigenständig". Deshalb erhofft sie sich für den bereits angekündigten Nachfolgeroman etwas mehr Übermut.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.05.2011

Geradezu Sorgen möchte sich Judith von Sternburg nach diesem Erzählungsband von Stefanie Sourlier machen. Ihr stellt sich nämlich die Frage, "wie es nach einem solchen Debüt weitergehen soll". Sourlier erzählt in verschiedenen Geschichten von einer jungen Frau, deren Bruder Paul und einer Reihe Freunde und Freundinnen, die durch ein eher unglückliches Leben, durch Unglücksfälle, Missgeschicke verbunden sind, berichtet Sternburg. Der "komische Freund" nimmt sich das Leben, der Bruder hätte es beinahe getan. Für die Rezensentin kündeten die Erzählungen von einer "atemnehmende Traurigkeit".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.04.2011

Ein vielversprechendes Debüt erblickt Hans-Peter Kunisch in Stefanie Sourliers Erzählungsband "Das weiße Meer". Für ihn hat das Buch etwas von einem Familienroman in Form von Erzählungen. Im Mittelpunkt sieht er eine Bruder-Schwester-Beziehung, die ihre Intensität aus der gemeinsamen Abwehr von feindlicher Umwelt, Eltern und einem dritten, wesentlich jüngeren Kind bezieht. Er schätzt Sourliers genaue Charakterisierungen, ihren Blick für Details und ihre gekonnte Dramaturgie. Doch nicht nur in der Wahl der Mittel findet er die Autorin überzeugend, sondern auch im Blick auf "Tiefe und Eigengesetzlichkeit" dieser Prosa.

Pressestimmen


Podcast WDR 3 Passagen

Podcast RBB Kulturradio

Rezension Der Freitag

Ich kann nur vom Aufatmen sprechen, endlich wieder hat die junge deutsche Literaturgeneration ein Talent, dessen Prosa das Vielversprechende längst eingelöst hat und mich beim Lesen neugierig macht und in Atem hält. JOSEF WINKLER

Stefanie Sourliers Atmosphären entstehen durch präzise Charakterisierung, geschickte Zuspitzung oder Retardierung der Handlung, durch genau gesehene Details. (…) So hinterlassen ihre Geschichten nicht nur den Eindruck einer gekonnten Wahl der Mittel, sondern auch den von vielversprechender Tiefe und Eigengesetzlichkeit. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Bei Stefanie Sourlier löst Gegenwart Erinnerung aus, und Erinnerung schafft Gegenwart. Dabei vermischen sich, auch sprachlich, die Bewusstseinsebenen, die Zeiten sind fließend, der Bewusstseinsstrom der Bilder und Erinnerungen ist oft stärker als die bloße Gegenwart, formt sie neu oder zerbricht sie sogar zugunsten des Vergangenen. Und in allem schwingt ein zärtlicher und verwerfender Ton mit, der eine vielfach gebrochene Liebe zur Schweizer Heimat nicht verbergen kann. JUDITH KUCKART


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